Wie kann der Pflichtteil vermieden werden

Regelmäßig entnehmen Sie den Medien, der Pflichtteil sei nicht zu vermeiden, man sei ihm praktisch schutzlos ausgeliefert; eine vollkommen falsche Aussage. Fast jeder Pflichtteilsanspruch lässt sich vermeiden. Hierzu gibt es diverse rechtliche Konstruktionen wie Vor- und Nacherbe kombiniert mit einer entsprechenden Vermögenszuordnung, die sog. Güterrechtsschaukel, die aleatorische Fortsetzungsklausel, die Anstandsschenkung usw..

Typisch ist folgender Fall: Der Ehemann hat aus einer früheren Beziehung ein Kind. Die Eheleute haben ein gemeinsames Kind und kaufen zusammen ein Einfamilienhaus. Damit das außereheliche Kind des Vaters insbesondere das Haus nicht erben soll, errichten die Eheleute ein Berliner Testament. Danach setzen sich die Eheleute gegenseitig zum Erben und das gemeinsame Kind zum Schlusserben ein. Nun verstirbt der Ehemann und die Ehefrau möchte die Höhe des Pflichtteilsanspruchs des außerehelichen Kindes des Ehemannes wissen.

Der Rechtsanwalt berechnet diesen wie folgt: Das gemeinsame Einfamilienhaus hat einen Wert von Euro 200.000,00. Der Ehemann hinterlässt mithin eine ideelle Hälfte des Hauses zum Wert von Euro 100.000,00. Nach der gesetzlichen Erbfolge erbt davon die Ehefrau die Hälfte in Höhe von Euro 50.000,00 und die beiden Kinder des Ehemannes je 1/4 in Höhe von jeweils Euro 25.000,00. Der Pflichtteilsanspruch beläuft sich auf die Hälfte vom gesetzlichen Erbteil des außerehelichen Kindes über Euro 25.000,00. Der Pflichtteilsanspruch gegen die Ehefrau beträgt dann Euro 12.500,00. Ganz anders ist das Ergebnis, wenn die Ehefrau vor dem Ehemann verstirbt. In diesem Fall vervierfacht sich der Pflichtteilsanspruch gegen das gemeinsame Kind. Im Nachlass des Ehemanns befindet sich nach dem Erbe der Ehefrau nunmehr das gesamte Haus zum Wert von Euro 200.00,00. Gesetzliche Erben nach dem Vater sind dann nur noch die beiden Kinder zu je 1/2. Der Pflichtteilsanspruch beträgt dann 1/4. Mithin beläuft sich dann der Pflichtteilsanspruch gegen das gemeinsame Kind auf Euro 50.000,00!

Wie lässt sich in diesem Fall der Pflichtteilsanspruch vermeiden?

Die Ehefrau hätte das Einfamilienhaus allein kaufen müssen. Setzt die Ehefrau dann den Ehemann zum befreiten Vorerben und das gemeinsame Kind zum Nacherben ein, haben Sie den Pflichtteil gegen sich und auch gegen das gemeinsame Kind vermieden. Als befreiter Vorerbe unterliegt der Ehemann nur einer Einschränkung, er darf das Haus nicht an Dritte verschenken. Er kann insbesondere das Haus wie ein Erbe im Notfall jederzeit verkaufen und über den Kaufpreis frei verfügen. In diesem Zusammenhang sollte darauf geachtet werden, dass auch das sonstige Vermögen allein bei der Ehefrau ist. Sachen von Wert wie Fernseher, Autos müssen dann allein auf den Namen der Ehefrau gekauft werde, d.h. diese allein unterschreibt die Kaufverträge. Ebenso sollte sonstiges Geldvermögen wie Sparbücher, Wertpapiere usw. allein auf den Namen der Ehefrau angelegt werden. Bezüglich dieses sonstigen Vermögens sollten Sie aber auf jeden Fall die Vermächtnislösung wählen. Wenn Sie dies beachten, ist der Pflichtteil für Sie kein Thema. Der Ehemann erhält bei einer Scheidung seinen Anteil im Rahmen des Zugewinnausgleichs in Geld zurück. Nach dem Vater erbt dann das gemeinsame Kind als Nacherbe. Entscheidend ist hierbei, dass auf eine Nacherbschaft kein Pflichtteil anfällt. Das gemeinsame Kind muss an das außereheliche Kind des Vaters keinen Pflichtteil zahlen. Vom Ergebnis her erbt bei dieser Testamentsgestaltung wie beim Berliner Testament zuerst der Ehemann und dann das gemeinsame Kind, wobei der Ehemann lediglich der Einschränkung unterliegt, den Grundbesitz nicht an Dritte verschenken zu dürfen. Neben dem Erbgang nach der Ehefrau ist natürlich auch der Erbgang nach dem Ehemann zu regeln!

Bedenken Sie, dass das Pflichtteil bar auszuzahlen und der Pflichtteilsberechtigte nicht verpflichtet ist, sich ausschließlich aus dem Haus zu befriedigen. Er kann neben der Zwangsversteigerung auch Ihr Konto pfänden.

Bemessungsgrundlage für den Pflichtteilsanspruch ist immer das gesamte Vermögen des Erblassers und zwar unabhängig davon, von woher es kommt. Überträgt z.B. die Ehefrau auf Wunsch des Ehemanns, der für die laufenden Kosten des Hauses, die Steuern, Versicherungen, Reparaturen usw. alleine aufkommt, eine ideelle Hälfte des ihr zum Alleineigentum gehörenden von den Eltern geerbten Einfamilienhauses, ist auch diese Hälfte Bemessungsgrundlage für einen Pflichtteilsanspruch des außerehelichen Kindes des Ehemannes gegen die Ehefrau, obwohl sie diese Hälfte auf den Ehemann unentgeltlich übertragen hatte. Mithin verliert die Ehefrau nicht nur ihren hälftigen Miteigentumsanteil an dem Haus, sondern muss darüber hinaus auf das “eigene“ Haus auch noch den Pflichtteil zahlen.

Haben Sie den Notar auf das weitere Kind nicht hingewiesen oder hat es der Notar unterlassen, nach außerehelichen Kindern nachzufragen und in unserem Fall der Ehemann das Haus mit kauft, wird zur Vermeidung des Pflichtteils in der Regel angeraten, seine ideelle Hälfte am Grundbesitz gegen Einräumung eines Wohnrechts oder eines Nießbrauchrechts auf die Ehefrau zu übertragen. Klingt gut, hat aber einen Haken. Die gewünschte Rechtsfolge tritt nur ein, wenn der Grundbesitz zum Zeitpunkt des Erbfalls inflationsbereinigt einen höheren Verkehrswert als zum Zeitpunkt der Überschreibung hat. Unserer Erfahrung nach ist diese Rechtsfolge weitgehend unbekannt. Aufgrund der heutigen Entwicklung der Häuserpreise im ländlichen Bereich oder überhaupt wenig nachgefragten Orten, einer Wertminderung durch unterlassene Unterhaltungsmaßnahmen, örtliche Eigenheiten wie z.B. eine angrenzende neu errichtete

Windkraftanlage ist die Sache höchst problematisch und wird manche böse Überraschungen mit sich bringen.

Die 10 Jahresfrist gilt im Übrigen bei Übertragungen unter Eheleute nicht. Da durch die Übertragung der Pflichtteilsergänzungsanspruch schon ausgelöst wurde -fällig wird dieser erst mit Tod des Erblassers- sitzen Sie in der Falle.

Zum Schluss noch ein Tipp. Der Pflichtteilsberechtigte kann vom Erblasser die Vorlage der Kontoauszüge der letzten 10 Jahre verlangen. Sollten Sie mit einem Pflichtteilsanspruch rechnen, so sollten Sie unbedingt die entsprechenden Auszüge aufbewahren. Sie können diese zwar nachträglich erstellen lassen, hierbei müssen Sie aber mit Kosten über Euro 3.000,00 bis 5.000,00 oder auch mehr rechnen.

Rechtsanwalt für Erbrecht in Wittenberg Dr. Cord Römer